In Beziehungen treffen oft hohe Ansprüche auf die Realität des täglichen Lebens. Der Unterschied zwischen dem Wissen, was Zuverlässigkeit und Hingabe bedeuten, und dem tatsächlichen Handeln nach diesen Werten, ist enorm. Zu wissen, wie man handeln sollte, und es wirklich umzusetzen, zeigt, dass die Theorie oft weit entfernt ist von der Fähigkeit, im Alltag nach diesen Prinzipien zu leben. Vor allem in Beziehungen – sei es in der Partnerschaft oder in einer beruflichen Kooperation – zeigt sich das besonders deutlich:
KENNEN IST NICHT KÖNNEN
Wenn man die Ursache von Konflikten in Beziehungen tiefgründig betrachtet, wird schnell klar, dass in genau diesen Aspekten große Diskrepanzen im Verhalten liegen. Meine Erfahrung als Berater zeigt: Der erste Impuls bei Kritik ist fast immer das Abstreiten. Wer würde schon auf Anhieb zugeben, dass er unzuverlässig oder nicht hingebungsvoll ist? Und doch funktionieren Beziehungen – oder eben nicht.
Anklagen, so meine Überzeugung, führen nicht zu nachhaltigen Lösungen. Wirklich weiter kommen Menschen nur, wenn sie Verantwortung übernehmen – für sich und für ihre Beziehung. Doch ist es wirklich sinnvoll, auf lange Sicht einem Menschen hinterherzulaufen, der sich als unzuverlässig erweist und in seinen Handlungen vorrangig an sich selbst denkt? Ob das nun gesunder Egoismus ist oder nicht, spielt dabei erst einmal eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist der erste Impuls: Denkt der Mensch erst an sich und dann an den anderen, oder umgekehrt? Setzt er die Beziehung an erste Stelle oder glänzt er eher durch Ausreden?
Wir alle kennen diese Floskeln: „Ich konnte nicht, weil…“, „Das ging nicht, weil…“. Was bleibt, ist die Frage: Ist es klug, einem solchen Menschen dauerhaft hinterherzulaufen, nur um am Ende immer frustrierter zu werden? Vor allem dann, wenn trotz gemeinsamer Gespräche und Abmachungen immer wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen wird.
Als Berater erlebe ich oft, dass eine strukturierte Problemlösung eine Menge Mut erfordert – Mut, der nicht jedem sofort verfügbar ist. Das gilt unabhängig vom Bildungsgrad. Doch die gute Nachricht ist: Sobald die notwendigen Ressourcen erkannt und freigesetzt werden, entstehen oft erstaunliche neue Lösungen. Wenn das allerdings nicht gelingt – und das mag sich unattraktiv anhören – ist in manchen Fällen eine respektvolle und faire Trennung die beste Lösung. Manchmal kann das Ende einer Beziehung nämlich auch ein Segen sein – für beide Seiten.
Eine solche Trennung bedeutet nicht das Ende der Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Im Gegenteil: Es kann eine Chance sein, in Zukunft auf einer anderen Ebene erfolgreich miteinander zu arbeiten. Wenn die emotionale Ebene bereinigt ist, können Geschäftsbeziehungen durch das Wissen um die jeweiligen Persönlichkeitsmerkmale sogar sehr fruchtbar sein. Türen für immer zuzuschlagen, bringt oft nur zusätzlichen Stress – der größte Gegenspieler für unser Wohlbefinden. Daher ist es nicht unbedingt schlimm, jemanden aus dem Herzen zu entlassen, um Raum für neue Formen der Zusammenarbeit zu schaffen.
Der Übergang von einer emotionalen zu einer professionellen Beziehung gelingt jedoch nur mit klaren Absprachen. Verbindliche Spielregeln sind essenziell, um auch in Zeiten der emotionalen Überforderung stabil zu bleiben. Und genau hier sehe ich meine Aufgabe als Berater. Ich schaffe die notwendige Distanz und Neutralität, sowohl auf emotionaler als auch auf sachlicher Ebene. Doch auch ich habe meine Grenzen. Sobald ich merke, dass ich emotional involviert bin, ziehe ich die Reißleine und lehne einen Auftrag ab. Auch Berater sind eben nur Menschen.