Wer sucht deine Nähe? Ist es ein Mensch, der dies ohne jeglichen Eigennutz tut? Frei von jeder Ziel- oder Zweckorientierung? Ein Mensch, der nur aus einem Grund deine Nähe sucht: weil du du bist. Er interessiert sich nicht dafür, was du hast – Prestige, finanzielle Aspekte, Haus, Urlaub, Auto oder sonstige Dinglichkeiten sind ihm völlig egal. Dieser Mensch schätzt dich um deiner selbst willen. Er spricht zu dir aus dem Herzen.
Ich empfinde es als einen Segen, Menschen um mich zu haben, die meine Nähe suchen, weil ich ich bin. Dieses Gefühl wünsche ich jedem anderen Menschen, denn es ist ein tiefes Gefühl von Wohlbefinden, das daraus entsteht.
Wer sich auf dieses gedankliche Fragespiel einlassen möchte, könnte sich zunächst zwei grundlegende Fragen stellen: Bin ich mir meiner emotionalen Nehmerqualitäten bewusst? Und bin ich mir der daraus entstehenden Konsequenzen bewusst?
Denn gerade wenn wir den Blick auf unser persönliches Umfeld richten, braucht es möglicherweise diese Nehmerqualitäten, da die Wahrheit alles andere als angenehm sein könnte.
Eine Erkenntnis aus meiner Erfahrung als Berater ist, dass viele Menschen sehr wohl wissen, mit wem sie sich umgeben – bewusst oder unbewusst. Doch die Konsequenzen sind ihnen häufig nicht klar. Und die lauten meist: Stress. Und Stress belastet uns Menschen tiefgehend. Dauerhafter unterschwelliger Stress, manchmal spürbar in kleinen Spitzen oder klar erkennbar in deutlichen Symptomen. Man kann daraufhin wütend reagieren, aufstampfen und fordern – oder den Stress schlichtweg ignorieren, ihn wegdrücken, als ob er nicht existierte.
Doch dieses Ausweichen bringt keine Lösung, sondern verstärkt die innere Unruhe.
Aus meiner Sicht liegt die Lösung in bedingungsloser Ehrlichkeit. Diese Ehrlichkeit ist eine echte Chance für Veränderung und Wohlbefinden. Wer mit einer Lüge lebt, und sei sie noch so klein, trägt immer eine Last mit sich. Vielleicht ist sie nicht direkt spürbar, aber sie beeinflusst uns. Solche scheinbaren Kleinigkeiten verbessern jedenfalls nicht unsere Lebensqualität – ganz im Gegenteil.
Während meiner Tätigkeit als Berater erlebe ich oft, dass Menschen denken, ich sei ihr Freund. Möglicherweise, weil meine Gesprächshaltung vom Verstehenwollen geprägt ist. Ich offenbare meinem Gesprächspartner, mich wirklich in seine Problemlage hineinversetzen zu wollen. Vor allem will ich sicher gehen, das Gehörte richtig verstanden zu haben. Diese innere Einstellung ermutigt viele Gesprächspartner. Sie regt sie zu weiteren Ausführungen an. Ein Miteinanderreden entsteht.
Doch wenn ich erkläre, dass unsere Beziehung kein Freundschaftsdienst ist, sondern eine professionelle Arbeitsbeziehung, die jedoch in Gesprächen oft einer echten Freundschaft ähnelt, halten sie inne. Dann wird ihnen klar: Nur ein Profi, der emotional nicht involviert ist, kann wirklich objektiv und neutral bleiben. Wenn dieser Profi sich dabei vollständig engagiert, ohne sich selbst zu verlieren, dann funktioniert die Beziehung. Sie basiert auf Wahrheit und Klarheit, und es werden neue Lösungen gefunden.
Den Mut zu haben, sei es im privaten oder beruflichen Kontext, dem Gegenüber offen zu sagen, worum es in der Beziehung wirklich geht, besitzen nur wenige.
Aus diesem Grund wird häufig getäuscht und die Wahrheit verschleiert, bis sie kaum noch erkennbar ist. Ein “Ich liebe dich” oder “Du bist mein Freund” ist schnell gesagt, ebenso wie ein “Ich interessiere mich für dich.” Menschen sind jedoch nicht naiv – sie erkennen oft, wenn solche Worte lediglich vorgetäuschtes Interesse ausdrücken, ohne dass tatsächlich echte Zuwendung dahintersteht.
Ich bin ein Mensch, der eine besondere Stärke hat – und gleichzeitig eine Schwäche, die ich aber akzeptiere: Wenn ich etwas tue, gebe ich mich vollständig hin. Ich neige sogar dazu, mich dabei zu verlieren. Und dabei habe ich oft den vielleicht naiven Glauben im Kopf: Mein Gegenüber wird das nicht ausnutzen. Letzteres habe ich als mein persönliches Lernfeld erkannt – und wahrscheinlich werde ich darin nie ausgelernt haben.
Ich glaube fest daran: Wenn sich Menschen gegenüber sitzen, sich in die Augen schauen und sich fragen, worum es wirklich geht – und wenn sie sich gegenseitig aufmerksam und einfühlsam zuhören, um die wahre Bedeutung hinter den Worten zu verstehen, bis beide sagen können: “Darum geht es wirklich!” – dann können wir echte Klarheit und Wohlbefinden erlangen. Neue Strategien können gefunden und erarbeitet werden.